Beschluss vom 23.07.2025 -
BVerwG 2 B 52.24ECLI:DE:BVerwG:2025:230725B2B52.24.0
Keine Anwendung des Art. 99a BayBeamtVG auf Altfälle
Leitsatz:
Art. 99a BayBeamtVG ist nicht auf Fälle anwendbar, in denen der Wechsel aus dem deutschen Beamtenverhältnis in eine vergleichbare Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung stattgefunden hat. Auch eine analoge Anwendung oder eine "modifizierende" analoge Anwendung scheiden aus.
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Rechtsquellen
AEUV Art. 45 BayBeamtVG Art. 99a -
Instanzenzug
VG Würzburg - 08.12.2020 - AZ: W 1 K 20.399
VGH München - 11.10.2024 - AZ: 3 BV 21.334
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 23.07.2025 - 2 B 52.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:230725B2B52.24.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 52.24
- VG Würzburg - 08.12.2020 - AZ: W 1 K 20.399
- VGH München - 11.10.2024 - AZ: 3 BV 21.334
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 23. Juli 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schübel-Pfister beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Oktober 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 28 298,23 € festgesetzt.
Gründe
1 1. Gegenstand des Verfahrens sind die versorgungsrechtlichen Folgen, die eintreten, wenn ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, um in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu arbeiten.
2 Der ... geborene Kläger wurde 1990 Angestellter und 1991 Beamter bei der Universität R. 2003 wechselte er zur Universität W. und ließ sich deshalb aus dem Beamtenverhältnis zum beklagten Freistaat entlassen und in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichern. Am ... 2017 wäre der Kläger bei einem Verbleiben im Beamtenverhältnis altersbedingt in den Ruhestand getreten.
3 Im Nachgang zur "Pöpperl"-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Europäischer Gerichtshof - EuGH) vom 13. Juli 2016 wurde in Bayern mit Gesetz vom 18. Mai 2018 rückwirkend zum 13. Juli 2016 ein neuer Art. 99a in das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) eingefügt. Am 28. Mai 2017 beantragte der Kläger, ihm ergänzende Versorgungsleistungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu gewähren. Dieser Antrag und der nachfolgende Widerspruch blieben erfolglos.
4 Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine ergänzende Versorgungsabfindung gemäß Art. 99a BayBeamtVG mit der Maßgabe zu gewähren, dass der Versorgungsabschlag unterbleibt und der Unterschiedsbetrag auf den Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze des Klägers zu berechnen ist.
5 Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. April 2017 einen nach der Rechtsauffassung des Senats zu bestimmenden monatlichen Betrag für den Ausgleich der Einbußen in der Altersversorgung aufgrund seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zum Beklagten zuzuerkennen. Die seinerzeitige Beschränkung der Altersversorgung habe den Kläger in seinem Recht aus Art. 45 AEUV verletzt. Aus dieser Norm ergebe sich ein Anspruch des Klägers auf Ergänzung der gesetzlichen Altersrente. Denn Art. 99a BayBeamtVG sei weder unmittelbar noch analog anwendbar. Art. 99a BayBeamtVG sei für Altfälle (= Gebrauch machen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor dem 13. Juli 2016 als dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes) nicht unmittelbar anwendbar; hiervon gehe auch die Gesetzesbegründung aus ("alle ab dem Entscheidungszeitpunkt Betroffenen"). Auch eine analoge Anwendung scheide aus. Sie sei schon wegen des Gesetzesvorbehalts des Art. 3 Abs. 1 BayBeamtVG bedenklich. Im Übrigen fehle es an einer planwidrigen Gesetzeslücke; wenn nach der Gesetzesbegründung "alle ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des EuGH vom 13. Juli 2016 Betroffenen von der Rechtsänderung erfasst" werden sollten, zeuge dies von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Es fehle schließlich auch an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Denn der Kläger erhielte dann einen wesentlich geringeren Betrag, ohne diesen Ausfall - wie im Normalfall der unmittelbaren Anwendung des Art. 99a BayBeamtVG - dadurch kompensieren zu können, dass er den (geringeren) Betrag gewinnbringend am Kapitalmarkt anlege. Das sei gleichheitswidrig gegenüber den späteren Normalfällen und genüge nicht den Anforderungen des Art. 45 AEUV. Schließlich scheide auch eine "modifizierte" Anwendung des Art. 99a BayBeamtVG - wonach entgegen dessen Absatz 3 für die Berechnung der fiktiven Versorgungsanwartschaft nicht auf den Zeitpunkt der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, sondern auf den Zeitpunkt des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze abgestellt werde - aus. Sie überschreite die Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, so dass das nationale Recht unangewendet bleiben müsse und das Unionsrecht in vollem Umfang unmittelbar anzuwenden sei.
6 2. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat keinen Erfolg.
7 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 24. April 2017 - 1 B 70.17 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 68 Rn. 3).
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Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob der Anwendungsbereich des Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG auch die Fälle erfasst, in denen ein Beamter vor dem 13. Juli 2016 von der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hat und deshalb aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden beantworten.
9 Art. 99a BayBeamtVG, der durch das Gesetz vom 18. Mai 2018 (GVBl. S. 286) mit Wirkung vom 13. Juli 2016 in das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz eingefügt worden ist, regelt die versorgungsrechtlichen Folgen des Wechsels eines dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes unterfallenden Beamten in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Nach Art. 99a Abs. 1 BayBeamtVG erhalten u. a. nachzuversichernde Beamte auf Lebenszeit, die nach Erfüllung der Wartezeit auf Antrag entlassen wurden, auf Antrag eine ergänzende Versorgungsabfindung, wenn sie im unmittelbaren Anschluss eine im Inland herkömmlich in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ausgeübte Beschäftigung im öffentlichen Dienst eines Mitgliedstaates der Europäischen Union aufnehmen. Die ergänzende Versorgungsabfindung bemisst sich gemäß Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG nach dem Unterschiedsbetrag der um einen Abschlag von 15 v. H. verminderten Versorgungsanwartschaft und der durch Nachversicherung begründeten Anwartschaft zum Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses.
10 Die Auslegung dieser Bestimmung ergibt, dass sie, wie vom Berufungsgericht angenommen, auf Altfälle - d. h. auf Wechsel aus dem deutschen Beamtenverhältnis in eine vergleichbare Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung - nicht anwendbar ist.
11 Art. 99a BayBeamtVG und damit auch dessen Absatz 3 Satz 1 ist nicht unmittelbar auf Altfälle anwendbar. Der Gesetzgeber hat mit dem rückwirkenden Inkrafttreten dieser Bestimmung zum Zeitpunkt der Verkündung des "Pöpperl"-Urteils des EuGH vom 13. Juli 2016 - C-187/15 - zum Ausdruck gebracht, dass die Neuregelung seitdem entstehende Anwendungsfälle zum Gegenstand hat, d. h. ab diesem Zeitpunkt stattfindende Wechsel aus dem Beamtenverhältnis in ein vergleichbares Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Wäre man davon ausgegangen, dass Art. 99a BayBeamtVG bereits tatbestandlich auch alle Altfälle erfasst, hätte es keiner rückwirkenden Inkraftsetzung bedurft. Das wird bestätigt durch die Begründung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung zur Inkrafttretensregelung, in der es heißt, dass mit dem rückwirkenden Inkrafttreten zum Zeitpunkt des EuGH-Urteils sichergestellt werde, "dass alle ab dem Entscheidungszeitpunkt Betroffenen von der Rechtsänderung umfasst werden" (LT-Drs. 17/20990 S. 36); für Fälle vor diesem Zeitpunkt wurde entweder die EuGH-Entscheidung für nicht relevant gehalten oder jedenfalls kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf gesehen.
12 Schließlich passt die Rechtsfolge des Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG für Altfälle nicht. Die dort geregelte Methode zur Berechnung der ergänzenden Versorgungsabfindung mit der Anknüpfung an den Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses geht davon aus, dass die Abfindung den Entlassenen in den Stand setzt, den Kapitalbetrag anzulegen und aus diesem eine ergänzende Altersversorgung ab dem Erreichen des gesetzlichen Ruhestandsalters zu gewinnen. Das ist in den Altfällen, in denen der Entlassungszeitpunkt in der Vergangenheit liegt, nur eingeschränkt oder - wenn auch der Ruhestandseintritt schon erfolgt ist - gar nicht mehr möglich.
13 Eine analoge Anwendung des Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG auf Altfälle - auch hierauf erstreckt sich unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage - kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es dürfte bereits fraglich sein, ob insoweit eine planwidrige, d. h. vom Gesetzgeber nicht erkannte Regelungslücke vorliegt. Jedenfalls scheitert eine analoge Anwendung der Norm daran, dass die Rechtsfolge für die Altfälle - wie ausgeführt - nicht passt; der in Anknüpfung an den Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses zu errechnende Kapitalbetrag reicht in diesen Fällen nicht aus, um den betroffenen ehemaligen Beamten eine den Neufällen entsprechende und damit den unionsrechtlichen Erfordernissen genügende ergänzende Altersversorgung zu gewährleisten. Das verkennt auch der Beklagte nicht, der dem wie das erstinstanzliche Urteil mit einer den Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG modifizierenden Berechnung der ergänzenden Versorgungsabfindung begegnen will. Hierfür ist jedoch kein Raum. Die analoge Anwendung einer Norm ist nicht möglich, wenn die Rechtsfolge dieser Norm nicht passt, d. h. keine interessengerechte Lösung für die Ausfüllung der planwidrigen Lücke bereitstellt. Dem kann nicht durch eine "modifizierende analoge Anwendung" der Norm begegnet werden. Deshalb verbleibt es hier für die Altfälle bei dem in der Senatsrechtsprechung für das Fehlen einer gesetzlichen Regelung entwickelten und konturierten Anspruch unmittelbar aus Art. 45 AEUV auf Ergänzung der aus der Nachversicherung nach § 8 SGB VI resultierenden gesetzlichen Altersrente (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 - 2 C 3.21 - BVerwGE 175, 298 Rn. 22 ff.).
14 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG.